Schon 10 Cent halbieren die moralische Ignoranz
Menschen schauen bei moralischen Problemen gern mal weg. Die Kollegin wird am Arbeitsplatz mutmaßlich belästigt? Besser nicht so genau hinsehen. Kommt der Kakao vielleicht von einer Plantage, auf der Menschen wie Sklaven gehalten werden? Lieber nicht nachforschen. Viele Verbraucher:innen beschimpfen sogar andere, die nach solchen Informationen suchen (Zane et al. 2016). Und in der Wirtschaft ist es nicht ungewöhnlich, dass Manager bei unethischem Verhalten ein Auge zudrücken, wenn die Verdächtigten Spitzenkräfte sind (z. B. Rayner 2012).
Wie kann moralische Unwissenheit reduziert werden? Organisationen und politische Entscheidungsträger:innen, die versuchen, moralische Ignoranz zu verringern, können mindestens zwei Arten von Instrumenten einsetzen. Zum einen monetäre Anreize, zum anderen "Norm"-Stupser. Letztere nennt man auch Nudges – Botschaften, dass es doch normativ geboten wäre, eher mal hinzuschauen als wegzuschauen.
Sind diese Instrumente wirksam bei der Verringerung der moralischen Ignoranz? Genau das untersuchen Serra-Garcia und Szech (2022).
"Der moralische Umschlag"
Teilnehmende wählen zwischen einem Umschlag, der eine Spende für einen wohltätigen Zweck enthalten kann (oder auch nicht), und einem Profit. Die Frage ist also: Geld verdienen, oder lieber spenden, falls der Umschlag eien Spende enthält? Serra-Garcia und Szech (2022) messen die Nachfrage nach moralischer Ignoranz, indem sie den Einzelnen die Möglichkeit geben, den Umschalg zu öffnen oder geschlossen zu lassen, ehe sie sich entscheiden. Sie führen zwei empirische Studien mit mehr als 1.500 Teilnehmenden durch.
Kleine Anreize können das Wegschauen verringern
Die Studie kommt zu drei Ergebnissen:
Erstens: Die Einführung kleiner Belohnungen für Informationssuchende, auch wenn sie nur 10 Cent betragen, halbiert die moralische Ignoranz. Im Gegensatz dazu haben Botschaften über soziale Normen keinen Einfluss aufs Verhalten. Die Studie zeigt also, dass kleine Anreize, in moralisch wichtigen Situationen hinzugucken, viel bewirken können. Normenbotschaften mögen zwar noch kostengünstiger sein, haben aber wenig bis keinen Einfluss auf den moralischen Kompass.
Zweitens sind es meist egoistische Menschen, die es vermeiden, moralische Informationen einzuholen. Menschen, die den Profit für sich selbst einer möglichen Spende vorziehen, vermeiden es, den Umschlag zu öffnen. Möglicherweise wollen sie ein höheres moralisches Selbstbild aufrechterhalten, indem sie sich einreden: Hätte ich nur gewusst, dass der Umschlag sicher eine Spende enthält. Dann hätte ich natürlich gespendet…
Drittens zeigt sich, dass Menschen, die den Umschlag geschlossen lassen, eine Woche später auch Informationen zur Massentierhaltung ablehnen. In unserer Gesellschaft sind fast alle gegen die Bedingungen der Massentierhaltung, wie Umfragen belegen. Dennoch kaufen die meisten solche Produkte regelmäßig im Supermarkt. Die Studie zeigt, dass viele Menschen grundsätzlich dazu neigen, unbequeme Informationen zu vermeiden.
Da moralische Ignoranz weit verbreitet ist, könnten Unternehmen davon profitieren, Mitarbeiter, die hinschauen, auszuzeichnen. Schon kleine Preise hatten in unserer Studie große Wirkung! Zudem könnten Unternehmen Manager:innen mit einem starken moralischen Kompass einstellen, um eine Kultur des Hinschauens zu fördern. Wenn Konsumenten transparente Informationen über die Herkunft eines Produkts erhalten, am besten direkt auf der Packung, könnte dies zudem Kinderarbeit, Tierquälerei und Umweltschäden verringern.
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Referenzen
Autorinnen
Nora Szech ist Inhaberin des Lehrstuhls für Politische Ökonomie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Sie forscht zu Markt und Moral. Ihre Arbeiten sind in Top-Outlets wie Science, Review of Economic Studies und Management Science erschienen. Nora Szech gehört zu den Capital Top 40 unter 40 und ist Reinhard Selten Preisträgerin.
Nora Szech ist auf LinkedIn und Instagram.
Marta Serra-Garcia ist Associate Professor an der Rady School of Management, University of California, San Diego und
forscht im Bereich der Verhaltensökonomik und der Experimentellen Wirtschaftsforschung. Serra-Garcias Ergebnisse wurden in zahlreichen Fachzeitschriften veröffentlicht, darunter American Economic Review, Management Science und Psychological Science. Sie wurde von Poets&Quants außerdem als eine der 40 besten MBA Professor:innen unter 40 ausgezeichnet.