Der Mensch als Gärtner der Erde: Impulse des französischen Landschaftsarchitekten Gilles Clément

Die Klimakrise fordert dazu auf, den Blick zu öffnen und über Sprach-, Länder- und Fachgrenzen hinweg gemeinsam Lösungen zu finden. Inspirierend ist das Denkmodell des Jardin planétaire, welches dazu einlädt, die Erde als Garten zu begreifen.
Aufnahme eines Garten mit Wiese und hohen SträuchernAnna Keitemeier

Die Klimakrise fordert dazu auf, neue Sichtweisen auf den Lebensraum Erde einzunehmen. Landschaftsgestaltung als künstlerische Praxis, die sich der Kreativität des Lebendigen annimmt und dabei den Menschen in seiner realen Umwelt verortet, bietet Impulse und eröffnet neue Perspektiven in transdisziplinären Kontexten. Hervorzuheben sind in diesem Kontext die gegenständlichen und maßstabsübergreifenden Arbeiten des französischen Landschaftsarchitekten Gilles Clément. Mit dem Denkmodell des „Planetarischen Gartens“ regt er dazu an, die Erde als Garten und den Menschen als Gärtner zu begreifen.

Foto des Planeten Erde
Foto des Planeten Erde

Ein visionärer Landschaftsarchitekt mit kraftvollen Denkmodellen

Der studierte Gartenbauingenieur und Landschaftsarchitekt Gilles Clément war viele Jahre Professor an der nationalen Hochschule für Landschaftsarchitektur in Versailles (École nationale supérieure de paysage de Versailles) und hatte im Studienjahr 2011-2012 den Lehrstuhl für künstlerische Gestaltung (création artistique) am Collège de France inne. Er verbindet in seinem künstlerischen, philosophischen und politischen Werk theoretische Konzepte mit realen Landschaftsgestaltungen. Dabei stützt er sich auf verschiedene Denkmodelle, die die Vielfalt des Lebendigen in den Vordergrund stellen und die Beziehung zwischen Menschen und Natur in einer weiten räumlichen und zeitlichen Perspektive betrachten. Fundamental im Werk von Gilles Clément sind der „Garten in Bewegung“ (jardin en mouvement), die „Dritte Landschaft“ (tiers paysage) und der „Planetarische Garten“ (jardin planétaire). Es sind einfache und zugleich starke Konzepte, die Maßstäbe aufbrechen und besonders durch ihren gegenständlichen Charakter und ihre Konkretisierung in der Landschaftsgestaltung aussichtsreich für den transdisziplinären Kontext sind.

Der Garten als zentraler Ausgangspunkt: Wie die gärtnerische Tätigkeit leitet

Die persönliche Begegnung mit der Natur – konkret die gärtnerische Tätigkeit – ist die Grundlage der Arbeit von Gilles Clément. In seiner Antrittsvorlesung 2011 am Collège de France bezeichnet er den Garten als seinen Lehrmeister und damit als Ausgangspunkt seiner theoretischen und praktischen Arbeit (Clément 2012).
Der Begriff des „Gartens“ verweist sprachgeschichtlich auf eine „Einfriedung“, also ein eingegrenztes Gebiet. Die "Begrenzung" ist ein zentrales Element dieses Lebensraums. Gärten sind von Menschen geschaffene Orte, in denen Ästhetik und Nutzen miteinander verbunden werden. In ihnen entsteht jeweils eine eigene Lebensweise.

Autorin

Anna Keitemeier

Profilfoto Anna KEitemeier

Anna Keitemeier hat Architektur und Städtebau studiert und arbeitet aktuell an einem binationalen Promotionsvorhaben zwischen der Forschungsgruppe Architecture, Milieu et Paysage an der École nationale supérieure d’architecture Paris-La Villette (Graduiertenschule Abbé-Grégoire am Conservatoire nationale des arts et métiers, Anbindung an HESAM Université) und dem Institut Entwerfen von Stadt und Landschaft (IELS) am Karlsruher Institut für Technologie, wo sie auch Mitglied der Graduate School Cultures of Knowledge am KIT-Zentrum Mensch und Technik ist. In ihrer Forschung interessiert sie sich für die Vorstellung von öffentlichem Raum und Landschaft in den Stadtumbauprojekten im späten 20. Jahrhundert im europäischen Vergleich. Konkret geht sie in ihrer Dissertation der These einer „Wiedergeburt des Stadtparks“ als eigenen Baustein in den Transformationsprojekten in Paris (Rénovation urbaine), Berlin (Internationale Bauausstellung) und Rom (Secondo PEEP) nach. Weitere Forschungsinteressen sind die Epistemologie des Fachgebiets sowie frankophone Stadt- und Landschaftstheorie.

 "Wer einen Garten anlegt, entwirft sein Wunschbild der Welt" (Clément 2015)

Aus kulturwissenschaftlicher Sicht ist der Garten daher ein interessantes Forschungsobjekt, um eine zugrundeliegende Beziehung zwischen Mensch und Natur zu untersuchen. Die Figur des Gärtners nimmt für Gilles Clément eine besondere Rolle ein. Dieser solle mit einer beobachtenden Haltung in den Garten eingreifen und dies ausschließlich zum Wohle aller dort versammelten Lebewesen tun.

Das Konzept des Planetarischen Gartens: Wie der Mensch die Erde gärtnert

Gilles Clément stellt diesem in den 1990er Jahren eingeführten Denkmodell drei Beobachtungen voran: Erstens hat sich der Mensch über den gesamten Planeten ausgebreitet, zweitens haben sich die Lebewesen weltweit vermischt und drittens stellt die Erde als Lebensraum, wenn man sie als Garten denkt, per Definition ein eingegrenztes Gebiet dar.
Mit dem „Planetarischen Garten“ lädt Gilles Clément dazu ein, die Erde als Garten und den Menschen als seinen Gärtner zu begreifen. Dabei geht es ihm nicht darum, den Planeten Erde in einen Garten im modernen Sinne zu verwandeln – also wilde Arten zu entnehmen und durch ertragreichere Kulturen zu ersetzen –, sondern die Erde als einen geschlossenen Lebensraum zu betrachten, in dem sich die verschiedenen Lebewesen unter den Augen des Menschen entwickeln. In Anlehnung an den sprachgeschichtlichen Ursprung des „Gartens“ wird die "Einfriedung" dabei in der Biosphäre vergegenständlicht, die wie ein dünner Film die Erde umgibt und so den Lebensraum definiert. Die folgende Abbildung ist eine Zeichnung von Gilles Clément, die einen Ausschnitt dieser das Leben ermöglichenden Begrenzung, der Biosphäre, darstellt.

Zeichnerische Darstellung des Planetarischen Gartens
Der Planetarische Garten (französisch Jardin planétaire). Zeichnerische Darstellung der Biosphäre als Begrenzung des Lebensraums (Gilles Clément)

Mit der Figur des Gärtners verdeutlicht Gilles Clément die zentrale Verantwortung des Menschen für seinen Garten, den Planeten Erde. Gärtnern bedeutet hier nicht, im Affekt zu handeln, sondern durch aufmerksame Beobachtung einen räumlichen und zeitlichen Blick auf den eigenen Lebensraum zu werfen und dementsprechend zu intervenieren. Dabei spielt die Ausgewogenheit des Gartens, also das Zusammenleben der verschiedenen Lebewesen, eine wichtige Rolle. Durch seine Weitsicht kennt der Gärtner seinen Lebensraum Garten, ohne eine Dominanz über die verschiedenen Lebewesen zu beanspruchen.

Die landschaftsgestalterische Entsprechung: Wie Theorie und Praxis zusammenfinden

Gilles Clément greift mit einfachen Gesten in den gegebenen Kontext ein und schafft so eindrucksvolle Orte, die mit den gängigen Vorstellungen von pompösen Landschaftsgestaltungen wie Gärten und Parks brechen. Ganz selbstverständlich sind seine Gestaltungen nicht das starre Produkt eines vorgefertigten Plans, sondern Ergebnis einer gärtnerischen Tätigkeit, die auf einer aufmerksamen Interaktion mit dem vorgefundenen Lebensraum beruht.
Ein Beispiel dafür ist der Garten La Vallée in der französischen Creuse. Durch die jahrelange Fürsorge eines aufmerksamen Gärtners ist die ehemalige Brache zu einem Ort geworden, der eine Revision des Lebensraumes für Mensch und Natur darstellt. In diesem Garten sind ästhetische Intentionen und dem Nutzen dienende Interventionen ständig im Werden begriffen und bilden so offene Inspirationsquellen.

Haus im Garten La Vallée
Der Garten La Vallée in der französischen Creuse

Die Erde als Garten der Zukunft: Wie Blicke in andere Wissenskulturen neue Perspektiven eröffnen

Die Auseinandersetzung mit anderen Wissenskulturen – in diesem Fall der französischen Landschaftsgestaltung und dem Werk von Gilles Clément – ist wichtig, um vor dem Hintergrund der drängenden Klimakrise zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln. Es geht darum, offen für Neues zu sein und eingefahrene Muster zu hinterfragen. Mit dem Denkmodell des „planetarischen Gartens“ wird die Erde gegenständlich als Garten der Zukunft begriffen. Dies bedeutet, dass der Mensch als Gärtner des Planeten seine Verantwortung für das Wohlergehen eines vielfältigen Lebensraumes erneuert und nachkommt. Es ist eine Einladung an alle, das „Gärtnern“ auf unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Ebenen zu verfolgen sowie Theorie und Praxis zusammenzubringen.
Die weitere Forschungsarbeit setzt sich mit dem Element der „Grenze“ und mit Formen von „Begrenzung“ im Kontext von gegenwärtigen Landschaftsgestaltungen und Stadtumbauprojekten auseinander. Sie trägt maßgeblich dazu bei, zeitgenössische französische Arbeiten für das deutschsprachige Publikum zu erschließen und in einen europäischen Vergleich zu stellen. Eingebettet in die Graduiertenschule „Cultures of Knowledge“ ist die Forschung motiviert von der Grundüberzeugung, dass die Klimakrise weder an Landes-, Sprach- oder Fachgrenzen Halt macht, sondern Lösungen im gemeinsamen Austausch zu finden sind.

Zum Weiterlesen

Clément, Gilles (2012): Jardins, paysage et génie naturel: Leçon inaugurale prononcée le jeudi 1er décembre 2011. Eröffnungsvortrag am Collège de France. Paris: Collège de France. Doi : https://doi.org/10.4000/books.cdf.510.
Übersetzung von Brita Reimers: Clément, Gilles (2015): Gärten, Landschaft und das Genie der Natur. Vom ökologischen Denken. Fröhliche Wissenschaften. Berlin: Matthes & Seitz Berlin.

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