Mit mehr Achtsamkeit Richtung Zukunft

Fernab vom Gedankenkreisen und Internetdurchforsten im Hier und Jetzt den Moment wahrnehmen, das ist Achtsamkeit. Dieses Konzept ist kein spiritueller Hokuspokus und nicht nur für asketische Mönche, sondern auch für die Gesellschaft von morgen relevant.
dampfende Teetasse auf TischUnsplash_John-Mark Smith

Was, wenn Sie in dem Moment, in dem Sie in der Mittagpause einen Tee trinken, wirklich nur einen Tee trinken? Klingt banal? Dann versuchen Sie doch mal, sich zehn Sekunden lang nur eine gelbe Zitrone vorzustellen. Vielleicht stellen Sie fest, dass Ihre Gedanken abschweifen, dass Sie sich in einer Gedankenkette von der Zitrone über Limonade bis hin zu Ihrem nächsten Zahnarztbesuch verheddern – ähnlich, wie Sie in der Mittagspause eben doch nicht nur Tee trinken, sondern mental schon im nächsten Meeting sind. Vielleicht empfinden Sie beim Gedanken ans nächste Meeting auch eine Emotion, zum Beispiel Angst. Dazu, wie eine Emotion eigentlich entsteht, gibt es viele Theorien und manche davon würden sagen, dass negative Emotionen aufkommen können, wenn auf die bloße Wahrnehmung eine ungünstige Bewertung folgt. Zudem gehen die negativen Emotionen mit negativen Gedanken einher. Es kann zum Konzentrationsverlust kommen, wodurch sich die Leistung im tatsächlichen Meeting dann vielleicht verschlechtert – dies führt wiederum zu immer stärkeren negativen Emotionen und schon wirkt der Kreislauf negativer Emotionen wie eine Abwärtsspirale der Leistung.

Und was holt Sie jetzt da raus, aus dem Wirrwarr an assoziativen Gedanken und sich selbst verstärkenden negativen Emotionen, sodass Sie Ihre beste Leistung zeigen und sich wohlfühlen können?

Ein Problemlöser könnte im Aufbau von Achtsamkeit liegen. Wenn eine Person den Fokus ihrer Aufmerksamkeit ganz auf die augenblickliche Erfahrung im Hier und Jetzt richtet und diesen Moment bewusst wahrnimmt, aber nicht bewertet, dann praktiziert sie Achtsamkeit. Das würde also bedeuten, zu riechen, wie der Tee riecht, zu schmecken, wie er schmeckt und es nicht zu bewerten, falls sich ein ablenkender Gedanke ins Gehirn mogelt. Alles, was an Empfindungen und Gedanken aufkommt, wird registriert, aber nicht als störend eingestuft, sodass der Fokus wieder zurück in den Moment verlegt werden kann.

Achtsamkeitsbasierte Programme werden seit einigen Jahren in der Wissenschaft evaluiert – mit der Tendenz, dass sie zum Beispiel Angst reduzieren und positive Gefühle erhöhen können. In einigen Studien fanden der Hirnforscher Richard Davidson und sein Team heraus, dass das Training der Achtsamkeit mit einer geförderten Neuroplastizität einhergeht. Das bedeutet, dass es als Anpassung an das Training ungewöhnliche Veränderungen in der Gehirnstruktur gab. In einer Studie seines Teams zeigte sich unter anderem, dass Teilnehmende eines Achtsamkeits-Meditationskurses sowohl direkt nach Ende des Kurses als auch noch vier Monate danach statistisch bedeutsam weniger negativen Affekt (also negative Empfindungen und Gefühle) berichteten als in der Messung vor Kursbeginn. Die Wartelisten-Kontrollgruppe, die den Kurs erst nach Durchführung der Studie besuchen durfte, zeigte im gleichen Untersuchungszeitraum keine Veränderung des negativen Affekts. Auch hinsichtlich einer mit Emotionsregulation assoziierten Gehirnaktivität zeigten nur die „Mental-Athleten“ Veränderungen, die auch vier Monate nach dem Kurs noch bestanden. Im Einklang damit nehmen Forschende an, dass es drei Wirkmechanismen gibt, über die Achtsamkeit wirkt: effektiverer Umgang mit Emotionen, gesteigerte Konzentration und mehr Flow-Erleben. Im Flow sind wir, wenn wir tief in eine Aufgabe versinken und Herausforderungen und Fähigkeiten im Gleichgewicht sind.

Die Vision einer achtsamen Gesellschaft von morgen

Diese positiven Wirkungen der Achtsamkeit klingen nach dem Rüstzeug, das die Gesellschaft von morgen braucht! Um die Leistungsfähigkeit innerhalb der Leistungsgesellschaft zu steigern – aber eben auch, um dabei körperlich und psychisch gesund zu bleiben. Es ist ja nicht immer nur so, dass uns quälende Gedanken vom Genuss des Moments ablenken, oft genug suchen wir diese Ablenkung freiwillig, indem wir uns während des Teetrinkens durch weltweit gepostete Fotos von Teetassen in dekorativem Herbstlaub scrollen. Dabei lässt sich Achtsamkeit in den Alltag integrieren! Beim Frühstück das Radio abschalten und bewusst in den Apfel beißen. Beim Zähneputzen die Borsten auf den Zähnen spüren. Beim Entspannen aufkommende Gedanken benennen, nicht bewerten, nur einer Schublade zuweisen und dann bewusst atmen, um den Fokus auf den Moment zu legen.

Achtsamkeit im Sport: Nicht nur Muskeln lassen sich trainieren

Auch am Beispiel Sport wird deutlich, dass Achtsamkeit die Zukunft sein kann. In einer sich immer stärker vermarktenden Glitzer-Sportwelt wird aus Emotionen Geld gemacht. Doch was die Sporttreibenden selbst aus ihren Emotionen machen, wie sie etwa mit Angst umgehen, bleibt oft im Verborgenen. Hier sollten in Zukunft immer mehr die Vorurteile gegenüber vielem, was mit Psychologie zu tun hat, abgebaut werden, um Gesundheit und Leistung besser fördern zu können. Denn in einer Zeit, in der immer mehr technische Hilfsmittel zur Verfügung stehen werden, um ideal zu trainieren, gleichen sich die theoretisch abrufbaren Bestleistungen einander an, was den Fokus zunehmend auf mentale Stärke legen wird. Natürlich ist so etwas wie ein Mentalcoach kein Garant für Gold. Und doch ist zum Beispiel von Weitspringerin Malaika Mihambo bekannt, dass es ihre innere Stärke war, auf die sie sich konzentrierte, bevor sie zum olympischen Anlauf in Tokio antrat. Sie gewann Gold.

Ein in unseren Studien untersuchtes Achtsamkeitsprogramm besteht aus acht Einheiten, in denen die Sporttreibenden zunächst im Zuge der Psychoedukation über die Hintergründe aufgeklärt werden, ehe sie sich in Gruppendiskussionen austauschen und Achtsamkeit anhand verschiedener Übungen, zum Beispiel Atemmeditationen, trainieren können. Das Programm kann dazu beitragen, dass durch die gestärkte Achtsamkeit der Einsatz maladaptiver Emotionsregulationsstrategien signifikant sinkt. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Sporttreibenden sich weniger selbst abwerten, weniger angesichts von Wut, Trauer und Angst zurückziehen und weniger zu ewigem Gedankenkreisen neigen. Genau wie die Muskulatur kann also auch das Gehirn trainiert werden und achtsame Menschen fit für die Zukunft machen.

 

Zum Weiterlesen:

Jekauc, D., Kittler, C., & Schlagheck, M. (2017). Effectiveness of a mindfulness-based intervention for athletes. Psychology, 8(1), 1-13.

Kittler, C., Gische, C., Arnold, M., & Jekauc, D. (2018). Der Einfluss eines achtsamkeitsbasierten Trainingsprogramms auf die Emotionsregulation von Sportlerinnen und Sportlern. Zeitschrift für Sportpsychologie, 25(4), 146-155.

 

Autor:innen

 

Susanne Weyland

Portraitfoto

 

 

 

 

 

 

 

Susanne Weyland, akademische Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Sport und Sportwissenschaft (IfSS), Arbeitsbereich Gesundheitsbildung und Sportpyschologie

Prof. Dr. Darko Jekauc

Prof. Dr. Darko Jekauc ist Leiter der Arbeitsgruppe für Gesundheitsbildung und Sportpsychologie am Institut für Sport und Sportwissenschaft des Karlsruher Instituts für Technologie