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Technik als kulturelles Erbe

Beschreibung

Bei der historischen Rekonstruktion der „Technikerbewegung“ vor 1900 wird immer wieder darauf abgehoben, dass Ingenieure und akademische Techniker ihr Arbeitsfeld gezielt gegen humanistische und historische Bildungsinhalte bestimmen und abgrenzen wollten. In der allgemeingeschichtlichen, von politikwissenschaftlichen Perspektiven beherrschten Anschauung wird den Agenten der technisch-industriellen Moderne eine narzisstische Reaktion auf die sozialdominanten humanistischen Sinnstifter und ihren erfolgreich behaupteten sprachlich-historischen Bildungsbegriff unterstellt: auch auf diese Weise lässt sich der Technik-Kultur-Gegensatz in historiographischem Gewand konservieren.

Dynamische technisch –industrielle Gegenwart und innovationsbestimmte Zukunft wurden danach als Gegensatz zum historisch dominierten kulturellen Mainstream konstruiert. Dieses Bild erfordert jedoch Korrekturen. Denn zum einen hatten Technik und Techniker sich schon zuvor aus der Historie bedient – etwa im Design „gotischer Maschinen“ oder in den Baustilen technikbezogener Architektur -, zum anderen argumentierten Protagonisten der Technikerbewegung immer wieder mit historischen Herleitungen oder mit Integrationsversuchen in die herrschende humanistisch bestimmte Kultur, so etwa Max Eyth in seinem programmatischen Aufsatz „Poesie und Technik“ von 1906. Die technisch-industrielle Welt erscheint dort nicht mehr als Gegensatz zu den relativ stabilen präindustriellen historischen Komponenten der Kultur, sondern integriert und amalgamiert sich mit ihnen. Technik wird dann zunehmend zum integralen Teil eines komplexeren identitätsstabilisierenden Geschichtsbildes. Der moderne Zentralverlag der sich historistisch formierenden Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, Oldenbourg in München, war zugleich der führende Fachverlag für die junge Technikwissenschaft des Maschinenbaus: Geschichte und Maschinenkonstruktion als Wissenschaften sind verlagsgeschichtliche Parallelfächer der industriellen Moderne.

Solche Konstruktionen eines technisch-industriellen Erbes sind durchaus weit verbreitet und können sich in vielfältiger Weise äußern. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts finden sich in verschiedenen Medien solche Ansätze. Es scheint daher lohnend und notwendig, die Geschichte der Konstruktion von Technik als Teilbereich des gesamten kulturellen Erbes genauer zu erforschen und darzustellen. Fragestellungen sind hier etwa:

  • Seit wann und in welchen Formen passte sich Technik in schon vorhandene Geschichtsbilder ein und avancierte zum Teil des kulturellen Erbes?
  • Wie wurden ,konventionelle’ Geschichtsbilder durch Technik modifiziert oder re-konstruiert?
  • Wie weit nutzte Technik das kulturelle Prestige von Geschichte, um sich sozial zu positionieren und / oder aufzuwerten?
  • Inwieweit waren insbesondere Historiker technikbezogen und an Technik interessiert – auch wenn sich das in ihrer Historiographie nicht oder nur marginal spiegelte?
  • Welche Rolle spielten die beiden Weltkriege und ihre technisch-industriellen Voraussetzungen für die Veränderung des mindset von Historikern. Wurde Technik zu einer hidden agenda der traditionell staats- und machtbezogenen deutschen Historiker?

In diesem Projekt wird man sich mit mehreren Ebenen beschäftigen müssen. Zum einen wird es um die Medien der populären Technikdarstellungen gehen. Ein exemplarisches Untersuchungsfeld kann z.B. die populäre Vermittlung des Menschenfluges vor dem Ersten Weltkrieg sein. Nahezu alle Veröffentlichungen, die die Entwicklung des Fliegens populär erzählten, begannen mit einer geschichtlichen Darstellung, die sowohl das literarisch-mythisch-fiktionale Fliegen darstellte als auch die Abfolge der konkreten technischen Versuche und Umsetzungen. Damit wird diese Technologie durchwegs als geworden verstanden und historisch (antikisierend wie auch im Rekurs auf germanische Mythen) hergeleitet. Technologie wird so als auf die Gegenwart fokussierte Geschichte populär vermittelt.

Ein weiteres Forschungsfeld bezieht sich auf Prozesse der Integration von Technik in eine bürgerlich bestimmte Alltagskultur. Seit wann und auf welche Weise technische Artefakte als Teil der eigenen Biografie und des eigenen kulturellen Erbes begriffen und vereinnahmt werden, wie Technik in Familiengeschichten und für soziale Identitäten von Gruppen eine Rolle spielt, und in welchen Medien dies erfolgt, soll mit geeigneten Fragestellungen und anhand bislang kaum in den Blick genommener Quellen untersucht werden. Beispielsweise kann die Erinnerung an technisches sozialisationsbestimmendes Spielzeug, wie die Modelleisenbahn des Großvaters, an Kinderfahrzeuge oder an Spielzeugdampfmaschinen untersucht werden. Solche Erinnerungen sind zu sammeln, zu sichern, zu systematisieren, zu periodisieren und in soziokulturellen und politischen Kontexten zu interpretieren.

Ein weiteres Forschungsfeld kann die Konstruktion von Traditionen signifikanter Alltagstechnologien sein. Eine Rekonstruktion der öffentlichen, privaten und firmenbezogenen Erinnerungskulturen und ihrer Funktionen, die sich um Mobilitätstechnik entwickelt haben, ist dazu gut geeignet.

Die Zielrichtung des Projektes ist also zweifach: Zum einen soll es um die Untersuchung der Debatten um eine Integration von Technik in Vergangenheitskulturen gehen, zum anderen soll eine Rekonstruktion der Erinnerungskulturen von Technik im Alltag unternommen werden. Dazu sind umfangreichere Erhebungs- und Systematisierungsarbeiten erforderlich.

Das Ziel ist eine Periodisierung und Systematisierung von historisch ausgerichteten Integrationsstrategien von Technik und damit eine Geschichte der Integration von Technik in das historische Bewusstsein.

Der Untersuchungszeitraum wird vom Kaiserreich bis zur Gegenwart reichen. Der deutschsprachige Raum bildet den Fokus, aber außerdeutsche Kontexte müssen mitrekonstruiert werden. Beide Projektbeteiligten haben umfangreichere Vorarbeiten und Publikationen vorzuweisen.

 

Beteiligte

Institut für Geschichte (IfG) - Rolf-Ulrich Kunze, Kurt Möser

 

Ansprechpartner: Dr. Kurt Möser, Rolf-Ulrich Kunze

Laufzeit: 2011-2012