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Inter- und transdisziplinäre Technikdiskurse für den Hochwasserschutz

Beschreibung

Auch für den Hochwasserschutz werden Daten und Informationen, die zur Umsetzung technischen Wissens erforderlich sind, zunehmend nicht nur über etablierte Medien, wie zum Beispiel Zeitung, Rundfunk oder populärwissenschaftliche Publikationen, sondern über eine Vielfalt digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK) vermittelt. Diese Vermittlung von faktischem Wissen (Tatbeständen) und Wertungen, und ebenso die Reflexion und Adaptation internalisierten technischen Wissens, geschieht in transdisziplinären Technikdiskursen unter Beteiligung verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen: neben der Bevölkerung im Allgemeinen sind Entscheidungsträger in Verwaltung und Politik, Technik-Experten (Ingenieure), Vertreter von Versicherungen und Medien beteiligt.

Angesichts verheerender Hochwasserkatastrophen, deren hohes Schadensausmaß nicht zuletzt auf eine unzureichende Risikokommunikation zurückzuführen ist, ist nicht nur die Definition relevanter Inhalte, sondern auch die Wahl geeigneter Medien und Präsentationsformate von hoher Wichtigkeit. Die Nutzer werden das Medium wählen, das den gewohnten Zugang zu Hochwasserinformationen bietet, und das Präsentationsformat, das die Inhalte in einer ihrer Wissenskultur entsprechenden Weise darbietet.

Seit einigen Jahren wird von der UN für das Umweltmanagement, also auch für das Hochwassermanagement, das Prinzip des adaptiven Managements als Leitstrategie vorgegeben. Das bedeutet, dass das Management bei strategischen Entscheidungen im Gegensatz zum herkömmlichen linearen Ablauf der Planung den Charakter eines zyklischen Planungsprozesses annimmt. In diesen zyklischen Planungsprozess sollen durch das Mitwirken der Öffentlichkeit Erfahrungen aller Beteiligten bei verschiedenen Planungsschritten einfließen („lessons learned“). Die Umweltpolitik erwartet sich davon einerseits eine verbesserte Akzeptanz erforderlicher technischer Maßnahmen, adäquates soziales Handeln der Bevölkerung wie zum Beispiel eine höhere Bereitschaft zur Selbstvorsorge und, schlussendlich eine Stärkung der Resilienz von Siedlungen. Für die stete Anpassung aller Beteiligten an neue Erfahrungshorizonte muß sich eine neue Diskurskultur entwickeln. Um die aktive Beteiligung der Bevölkerung zu fördern, werden verschiedene Ansätze des capacity building vorgeschlagen, von der optimierten, nutzerorientierten Informationsvermittlung bis zu Workshops und Diskussionsforen. Hierbei sind informierende (uni- und bidirektional) und kommunikative Elemente und Prozesse zu unterscheiden.

Bei der Vermittlung hochwasserschutzrelevanter Informationen ist Multimedialität, die gleichzeitige Verwendung verschiedener Medien und Präsentationsformate, von besonderem Interesse. Daher soll bei der Diskussion der Ergebnisse der Einfluss der Multimedialität auf Informationsinhalte berücksichtigt werden. Nachdem beim Übergang von der Oralität zur Textualität verbale lineare Erzählstränge von komplexen Wissensnetzen abgelöst wurden (Ong 1982), ist durch die enge Verbindung von verbalen und bildlichen Darstellungen als imagetexts eine neue Dimension der Informationsvermittlung eröffnet (Mitchell 1987).

Der Aspekt der Multimedialität kommt insbesondere bei der Darstellung raumbezogener Daten zur Geltung; Geoinformationssysteme (GIS) verbinden verbale und bildliche Inhalte. Anhand geeigneter GIS Software lassen sich reale Daten und Daten zu ausgewählten Szenarien auf verschiedenen räumlichen (zoom) und zeitlichen Skalen (videoanimationen) darstellen.

Aus dem oben dargestellten Kontext, in den heute ein effektives Hochwassermanagement eingebettet sein muss, wird deutlich, daß relevante wissenschaftliche Ergebnisse nur über eine gute interdisziplinäre Vernetzung erarbeitet werden können. Am Institut für Wasser und Gewässerkunde (Prof. Nestmann; Abt. Hydrologie: Dr. Ihringer, Dr. Kämpf) wird seit mehreren Jahren an Fragestellungen zur Risikokommunikation für den Hochwasserschutz gearbeitet u.a. in Zusammenarbeit mit dem Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology (CEDIM). Es kann zurückgegriffen werden auf eine umfassende Webseitenanalyse, aus der eine Bewertungsheuristik mit vier funktionalen Kategorien „access to data/ information“, „technical aspects of data presentation“, „factual content“ und „readability of data/ information“ abgeleitet wurde;
mehrere Diskussionsforen zum Thema „Hochwasserschutz“ in betroffenen Gemeinden, zu denen Transkripte ausgewertet wurden. An diesen Foren waren Bürger und Vertreter der Kommunalverwaltung beteiligt;
eine Begriffsanalyse des mehrdeutigen Begriffs „Unsicherheit“, der aus der Sicht der Hydrologie für alle Aussagen zu Hochwasserereignissen unverzichtbar ist. Die Abschätzung der Unsicherheit bedeutet hier einen Zugewinn an Information über die beobachteten Daten hinaus, im Gegensatz zum sonst üblichen Verständnis des Begriffs. Aus den politischen Vorgaben zur Vermittlung hochwasserrelevanter Informationen an die Bevölkerung mit dem Ziel der effektiven Umsetzung dieser Informationen zu sozial adäquatem Umgang in allen Phasen des Hochwassermanagements können folgende weiterführende Fragen nur mit dem Fachwissen der Kulturwissenschaften (Literatur- und Medienwissenschaft) beantwortet werden:
Wie kann die Bedeutung der vermittelten technischen Information durch Textelemente, die den Nutzern vertraut sind, verdeutlicht oder auch durch Illustrationen veranschaulicht werden?
Welcher Inhalt kann über welches Medium, in welchem Präsentationsformat am besten vermittelt werden? Zudem ist, je nachdem, ob die vermittelten Informationen zu kurzfristigen Handlungsentscheidungen oder für längerfristige Reflektion vergangener Erlebnisse (lessons learned) herangezogen werden sollen, die Berücksichtigung verschiedener Zeitskalen relevant.
Welche Medien und Präsentationsformate
(a) sind für welche Nutzergruppen am besten geeignet,
(b) komplementieren das Informationsangebot,
so dass alle Aspekte, in welche die Information eingebettet ist, berücksichtigt sind (wissenschaftliches Fachwissen, kulturelle Erfahrung und Erwartungen)?
Wie können Informationen über episodische und auch periodische Extremereignisse aus Wissenschaft und kommunaler Verwaltung in durch regelmäßige Prozesse bestimmte Lebensbereiche unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen so überführt werden, dass sie intellektuell und emotional appropriiert werden?

 

Beteiligte

Institut für Literaturwissenschaft - Prof. Dr. Andreas Böhn
Institut für Wasser- und Gewässerentwicklung (IWG) - Prof. Dr. Nestmann, Dr. Charlotte Kämpf

 

Ansprechpartner: Dr. Charlotte Kämpf

Laufzeit: 2009-2012